Definition von Myasthenia gravis

Myasthenia gravis ist eine chronische, neuromuskuläre Autoimmunerkrankung, die durch eine gestörte Übertragung von Nervensignalen auf die Muskeln gekennzeichnet ist. Bei dieser Erkrankung greift das Immunsystem die Acetylcholinrezeptoren an der Muskelzelle an, wodurch die Reizweiterleitung gestört wird. Dies führt zu einer zunehmenden Muskelschwäche, die sich bei Aktivität verstärkt und sich in Ruhephasen oft etwas verbessert.

Merkmale und Symptome:

  • Die typischen Symptome umfassen eine Schwäche der Augenmuskeln (hängende Augenlider, Doppelbilder), Schwierigkeiten beim Sprechen, Schlucken und Atmen sowie eine Schwäche der Gliedmaßen.
  • Die Muskelschwäche verstärkt sich in der Regel im Tagesverlauf und bei wiederholter Nutzung der betroffenen Muskeln.

Myasthenia gravis

Ursache

Die genaue Ursache von Myasthenia gravis ist nicht vollständig bekannt, aber es handelt sich um eine Autoimmunerkrankung, bei der das Immunsystem irrtümlich die Übertragung von Nervensignalen auf die Muskeln angreift. Hier sind die Hauptfaktoren, die zur Krankheitsentwicklung beitragen:

  1. Autoimmunreaktion:
    • MG entsteht, wenn das Immunsystem Antikörper gegen die Acetylcholinrezeptoren an der neuromuskulären Endplatte bildet. Diese Antikörper blockieren oder zerstören die Rezeptoren, sodass der Neurotransmitter Acetylcholin nicht mehr effektiv an den Muskelzellen wirken kann, was die Muskelkraft beeinträchtigt.
  2. Thymusdrüse:
    • Die Thymusdrüse spielt eine Schlüsselrolle bei der Entstehung der Krankheit. Bei vielen Patienten mit Myasthenia gravis ist die Thymusdrüse vergrößert oder zeigt Anomalien wie Thymome (gutartige Tumoren). Die Drüse ist möglicherweise an der fehlerhaften Ausbildung der Immunzellen beteiligt, die die Rezeptoren angreifen.
  3. Genetische Veranlagung:
    • Genetische Faktoren könnten das Risiko erhöhen, obwohl MG normalerweise nicht vererbt wird. Personen mit anderen Autoimmunerkrankungen oder einer familiären Vorbelastung haben ein leicht erhöhtes Risiko.

Diese Faktoren führen dazu, dass das Immunsystem die Acetylcholinrezeptoren angreift und die Reizweiterleitung zwischen Nerven und Muskeln beeinträchtigt.

Diagnose von Myasthenia gravis

Die Diagnose von Myasthenia gravis erfordert verschiedene Untersuchungen, um die Muskelschwäche zu bestätigen und andere Ursachen auszuschließen. Folgende Methoden werden dabei typischerweise eingesetzt:

1. Klinische Untersuchung

  • Der Arzt prüft auf charakteristische Symptome, wie eine verstärkte Muskelschwäche, die bei wiederholter Bewegung zunimmt und sich bei Ruhe bessert. Typisch sind hängende Augenlider und eine Schwäche der Augen- und Gesichtsmuskeln.

2. Tensilon-Test

  • Ein Medikament namens Edrophonium (Tensilon) wird intravenös verabreicht, was bei MG kurzfristig die Muskelschwäche verbessern kann. Eine positive Reaktion deutet auf die Erkrankung hin, jedoch wird der Test aufgrund potenzieller Nebenwirkungen selten verwendet.

3. Blutuntersuchung

  • Antikörpertest: Die meisten Patienten mit Myasthenia gravis haben spezifische Antikörper gegen Acetylcholinrezeptoren im Blut. In seltenen Fällen können andere Antikörper wie gegen MuSK (Muskel-spezifische Kinase) nachgewiesen werden.

4. Elektroneurografie (ENoG) und Elektromyografie (EMG)

  • Mit diesen Tests wird die Muskelaktivität bei Nervenreizen gemessen. Eine repetitive Nervenstimulation (RNS) zeigt bei Myasthenia gravis oft eine abnehmende Muskelantwort.

5. Bildgebung (CT oder MRT)

  • Eine CT oder MRT des Brustkorbs wird durchgeführt, um den Zustand der Thymusdrüse zu überprüfen. Bei vielen Patienten ist die Thymusdrüse vergrößert oder weist Thymome auf, die mit der Erkrankung assoziiert sind.

Diese Tests geben zusammen ein klares Bild der neuromuskulären Übertragungsstörung, die für MG typisch ist. Die Diagnose wird häufig durch eine Kombination dieser Methoden gesichert, da einzelne Tests allein nicht immer eindeutig sind.

Häufigkeit von Myasthenia gravis

Myasthenia gravis ist eine relativ seltene Erkrankung, aber sie tritt weltweit auf. Die Prävalenz und Inzidenz sind wie folgt:

Prävalenz (Häufigkeit)

  • Die Prävalenz von Myasthenia gravis wird in Europa und Nordamerika auf etwa 10 bis 20 Fälle pro 100.000 Menschen geschätzt. Dies bedeutet, dass etwa 0,01–0,02 % der Bevölkerung betroffen sind.
  • In Deutschland leben ungefähr 15.000 bis 20.000 Menschen mit MG.

Inzidenz (Neuerkrankungen)

  • Die Inzidenz liegt bei etwa 1–2 neuen Fällen pro 100.000 Menschen pro Jahr. Das bedeutet, dass jährlich in Deutschland etwa 800–1.600 Menschen neu diagnostiziert werden.

Geschlecht und Altersverteilung

  • MG betrifft Frauen häufiger als Männer, insbesondere im Alter zwischen 20 und 40 Jahren. Männer erkranken oft später, in der Regel im Alter von 60 Jahren und darüber.
  • Die Erkrankung kann jedoch in jedem Alter auftreten, einschließlich bei Kindern und älteren Menschen.

Myasthenia gravis ist eine seltene, aber potenziell schwere Erkrankung, die jedoch durch Fortschritte in der Diagnostik und Therapie mittlerweile gut behandelbar ist.

Therapie

Die Therapie von Myasthenia gravis zielt darauf ab, die Übertragung von Nervenimpulsen zu den Muskeln zu verbessern und die Autoimmunreaktion zu kontrollieren. Hier sind die wichtigsten Therapieansätze:

1. Symptomatische Therapie mit Acetylcholinesterase-Hemmern

  • Medikamente wie Pyridostigmin (Mestinon) hemmen das Enzym Acetylcholinesterase, das Acetylcholin abbaut. Dadurch wird die Verfügbarkeit von Acetylcholin an der neuromuskulären Endplatte erhöht und die Muskelfunktion verbessert.
  • Diese Medikamente lindern die Symptome, wirken jedoch nur vorübergehend.

2. Immunsuppressive Therapie

  • Kortikosteroide wie Prednison werden eingesetzt, um das Immunsystem zu unterdrücken und die Autoimmunreaktion zu reduzieren.
  • Immunsuppressiva wie Azathioprin, Mycophenolat-Mofetil oder Ciclosporin können ebenfalls helfen, die Produktion von Antikörpern zu verringern. Diese Medikamente sind oft für die Langzeitbehandlung vorgesehen.

3. Biologika

  • Bei schwerem Verlauf oder unzureichendem Ansprechen auf andere Medikamente kommen Biologika wie Rituximab oder Eculizumab zum Einsatz, die gezielt bestimmte Immunzellen oder Immunprozesse hemmen.

4. Thymektomie (Entfernung der Thymusdrüse)

  • Da die Thymusdrüse eine Rolle bei der Entstehung der Krankheit spielt, kann ihre Entfernung (Thymektomie) bei einigen Patienten die Symptome verbessern oder die Krankheit stabilisieren. Dies wird besonders bei jüngeren Patienten und solchen mit vergrößerter Thymusdrüse oder Thymom durchgeführt.

5. Intravenöse Immunglobuline (IVIG) und Plasmapherese

  • IVIG-Therapie: Verabreichte Immunglobuline beeinflussen das Immunsystem und reduzieren die Menge der schädlichen Antikörper.
  • Plasmapherese: Bei dieser Behandlung wird das Blutplasma, das die Antikörper enthält, aus dem Blut gefiltert und durch frisches Plasma ersetzt. Dies wird oft bei schweren Schüben oder vor Operationen durchgeführt.

6. Symptomatische und unterstützende Therapie

  • Physiotherapie und Ergotherapie helfen, die Muskelkraft zu erhalten und die Lebensqualität zu verbessern.
  • Atemtherapie kann bei Patienten mit Atemproblemen unterstützend wirken, insbesondere bei fortgeschrittener Myasthenia gravis.

Therapieanpassung

Da Myasthenia gravis individuell sehr unterschiedlich verläuft, ist eine regelmäßige Anpassung der Therapie notwendig.

weiterführende Links zu Myasthenia gravis

  1. Deutsche Myasthenie Gesellschaft (DMG): Die DMG bietet umfangreiche Informationen und Unterstützung für Betroffene und Angehörige, darunter auch regionale Selbsthilfegruppen und Informationsmaterialien zur Diagnose und Therapie von Myasthenia gravis. Hier finden sich auch aktuelle Leitlinien zur Behandlung (dmg-online.de)​ Myasthenia Gravis Guide
  2. Integriertes Myasthenie-Zentrum (iMZ) am LMU Klinikum München: Das Zentrum bietet eine umfassende Versorgung für Patienten mit Myasthenia gravis. Neben Diagnose und Behandlung informiert es über Forschung und klinische Studien und bietet Expertise im Umgang mit der Erkrankung (www.lmu-klinikum.de)​:contentReference[oaicite:1]{index=1}.
  3. Neurologienetz: Diese Plattform bietet vertiefte Informationen zur Diagnostik und Behandlung von Myasthenia gravis, darunter den Tensilon-Test und elektrophysiologische Untersuchungen. Außerdem gibt es hier weiterführende Links zu verschiedenen Skalen und Klassifikationen, die zur Beurteilung der Krankheitsschwere verwendet werden (neurologienetz.de)​ Neurologienetz
  4. Deutsche Gesellschaft für Muskelkranke (DGM): Die DGM unterstützt Betroffene von neuromuskulären Erkrankungen und bietet Zugang zu Informationen über Symptome, Diagnose, Therapie und den Alltag mit Myasthenia gravis. Es werden auch Kontaktmöglichkeiten zu Spezialisten und Beratungsangeboten bereitgestellt (dgm.org)​ DGM
  5. Leben! Mit Myasthenia gravis – Dieser Blog gibt persönliche Einblicke in den Alltag mit Myasthenia gravis und deckt Themen wie Symptome, Therapiemöglichkeiten und Erfahrungsberichte von Betroffenen ab. Die Seite bietet eine Sammlung von Erfahrungsberichten, die für Menschen mit ähnlichen Herausforderungen hilfreich sein können​ Leben! Mit Myasthenia Gravis
  6. Carenity – Patientenberichte und Community – Carenity ist eine Plattform, auf der Betroffene von Myasthenia gravis ihre Geschichten teilen und sich über verschiedene Erfahrungen und Behandlungsansätze austauschen. Diese Plattform unterstützt nicht nur durch Erfahrungsberichte, sondern auch durch Diskussionen und den Austausch über psychische und körperliche Herausforderungen im Umgang mit der Krankheit​ Carenity
  7. Myasthenia gravis Awareness (#letstalkmyasthenie) – Die Plattform #letstalkmyasthenie von Alexion bietet ebenfalls Einblicke in das Leben mit der Erkrankung, inklusive einem Podcast und Einblicken von Betroffenen, die ihre Herausforderungen und Erfolge schildern. Die Plattform bietet zudem Informationen über Symptome und Bewältigungsstrategien, die das Leben mit der Erkrankung erleichtern können​ Alexion
  8. Myasthenia gravis – ein Begleiter – Der Blog der Uni Bremen beleuchtet den Austausch in Selbsthilfegruppen und schildert, wie wichtig es ist, praktische Tipps und emotionale Unterstützung im Umgang mit der Krankheit zu bekommen. Hier kommen sowohl Betroffene als auch Angehörige zu Wort und sprechen offen über die Herausforderungen und das Fehlen persönlicher Austauschmöglichkeiten in manchen Regionen​ UBlogs
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